Mein Leben mit Sri Chinmoy, von Bhagavantee A. Paul
In diesem Jahr 2010 feiere ich ein besonderes Jubiläum: Ich bin seit 20 Jahren Schülerin von Sri Chinmoy. Es ist eine lange Lebensspanne, die dazu einlädt, Rückblick zu halten. Ich habe viel erlebt, bin ungefähr 15 Mal umgezogen, habe dabei in fünf Städten und drei verschiedenen Ländern gelebt. Soweit zur äußeren Seite. Was aber innerlich in mir geschehen und gewachsen ist, ist sehr viel bedeutsamer. Mir ist wichtig, was sich in diesen 20 Jahren mit meinem inneren Wesen getan hat. Und noch wichtiger ist, wohin ich noch gehen will ...
Ich erinnere mich, dass ich schon in jungen Jahren den intensiven Wunsch hatte, absolutes Glück und absolute Liebe erleben zu wollen. Immer wieder war da dieseSehnsucht nach dem Absoluten, Dauerhaften, Unvergänglichen. Allerdings hatte ich keine Vorstellung davon, wie das zu erreichen wäre. Ich glaube, ich stellte mir vor, dass es eines Tages einfach da wäre, mir so über den Weg laufen würde.
Meine Familie war nicht religiös. Meine Mutter war zwar evangelischen Glaubens, aber sie lebte das nicht nach außen, zumal mein Vater überzeugter Atheist und Kommunist war. Wir lebten schließlich in der DDR, und die Schule umgab mich mit ihren Überzeugungen. Glücklicherweise war da immer eine Stimme in mir, die mich wissen ließ, dass all die Theorien und Glaubenssätze einfach lächerlich waren. Ich wusste, dass es nicht die Wahrheit war. Aber ich wusste auch nicht, wo ich Wahrheit finden konnte.
Einmal gab ich jedenfalls voller Überzeugung bekannt, dass ich nie an Gott glauben würde. Und die Ansicht, dass man nach dem Tode weiterleben würde, wies ich entrüstet ab. Es ist umso bezeichnender, dass gerade die Lehre von der Reinkarnation mir später den Sinn des Lebens in so eindrücklicher Weise offenbarte, dass mein ganzes Weltbild in kurzer Zeit neu gestaltet wurde. Als ich fünfzehn, sechzehn war, interessierte ich mich stärker für die Kirche, nur konnte ich keinen Zugang finden. Sie blieb fremd für mich und ich war oft traurig, dass ich nicht dazugehörte. So suchte ich denn mein Leben mit künstlerischen Mitteln zu bereichern, wollte irgendwas mit Kunst studieren, aber immerzu war in mir eine Leere, die ich nicht füllen konnte. Darum war ich auch stets meinen Stimmungen ausgeliefert, die mich oft lähmten und mir auch die Energie raubten, mich diszipliniert künstlerischen Studien zu widmen. Ich wollte doch einfach nur glücklich sein. Warum konnte ich das nicht, wo es doch die anderen waren? Zumindest sah es so aus. Ich kam mit mir selbst nicht zurecht und auch nicht mit der Welt. Und um die absolute Liebe war es auch nicht gut bestellt. Ich fühlte mich immer nur wie ein Suchender in der Wüste.
Mit Gorbatschow wehte dann ein neuer Wind ins Land. Hier spürte ich Aufbruch in ein neues Zeitalter, in ein neues Denken. Auch wenn mich die Ereignisse der Wende sehr beunruhigten, spürte ich doch die große Hoffnung, dass sich die engen Grenzen um unser Land in diesem System sprengen lassen würden. Zum Glück befand ich mich immer in der Position des anteilnehmenden Beobachters, denn aktives Mittun in dieser Phase der Umwälzung hätte mir nur Angst eingejagt. Ich war definitiv kein Revoluzzer, aber immer für Veränderung und Neusein. Es waren andere, die den Kopf hinhielten und ich bin ihnen dankbar, dass sie den Mut hatten, auf die Straße zu gehen und sich der Staatsmacht entgegen zu stellen. Ich hätte es nicht gekonnt.
Aber jede Seele hat einen anderen Auftrag. Meiner kam dann im Jahre 1990 zum Vorschein. Da hatte ich beschlossen, in Nürnberg ein künstlerisches Studium zu beginnen, war begeistert und offen für das Neue. Ein neues Leben begann. Raus aus der häuslichen Sicherheit und dem Altgewohnten. Und wie das Leben so spielt, fügten sich die Dinge so, dass auch mein tiefer spiritueller Hunger endlich genährt werden sollte. Ich kann nur feststellen, dass allein die Sehnsucht genügt hatte, dass sich die Umstände so ergaben, dass mir die richtigen Bücher und Menschen begegneten. Wie sollte ich in der DDR denn je Kontakt gehabt haben zu dem, was dann als Esoterikwelle kam oder zu etwas anderem als der Kirche? Aber das Land öffnete sich, ein neues Bewusstsein wuchs und da ich jung und neugierig war, trug mich dieser frische Wind zu neuen Ufern. Auf einmal hörte ich von Meditation, von spirituellen Lehren und Lehrern, las, was mir in die Finger kam. Ich saugte das alles auf wie ein Schwamm. Jetzt fühlte ich ganz stark, dass ich in der Spiritualität das finden würde, wonach ich immer vergeblich gesucht hatte. Dort wehte mich der Hauch des Ewigen an...
Zu Sri Chinmoy kam ich konkret so. Heute weiß ich, dass er mich zu sich geholt hat, denn wenn der Schüler bereit ist, erscheint der Meister. Damals lebte ich noch in Halle an der Saale, einer kleinen Stadt in Sachsen-Anhalt. An einem Samstagabend im Sommer fuhr ich vom Baden nach Hause zurück und unterwegs kam mir der Gedanke, noch schnell bei einem Bekannten, der Bildhauer war, vorbei zu schauen.
Als ich seinen Garten betrat, kam gerade eine Gruppe von Frauen heraus. Mein Bekannter erzählte mir, dass sie aus Nürnberg kämen und bei ihm einen Meditationskurs abhielten – immer am Samstag Nachmittag. Aha, dachte ich mir, das interessiert dich doch. In dieser Zeit war in mir durch einige wichtige Bücher nämlich ein großer Hunger nach Spiritualität erwacht. Also ging ich nach einer Woche wieder hin.
Leider waren diesmal nicht dieselben Frauen da, deren fröhliches Lachen mir in Erinnerung geblieben war. Es war ein Herr, der den Kurs leitete. Nun war die Gruppe allerdings schon so fortgeschritten, dass sie bereits so meditierten, wie es in den Sri-Chinmoy-Zentren üblich ist. Und da kam ich nicht mit. Schließlich hatte ich noch nie bewusst meditiert und auch keine Einführung erhalten.
Dann sah ich mir die Bücher von Sri Chinmoy an, die zum Verkauf auslagen, sah sein Lachen auf dem Buch “Glücklichsein” und dachte mir nur: ach, keiner kann immer nur glücklich sein. Das ist bestimmt nichts echtes, eine Sekte wahrscheinlich. Und irgendwie war die Sache für mich erledigt.
Allerdings knüpfte ich den Kontakt zu dem Herrn, weil ich nämlich nach Nürnberg umziehen wollte, um dort zu studieren. Vielleicht konnte ich ja für ihn arbeiten und Geld verdienen. Bis dahin war noch ein bisschen Zeit, ich meditierte immer mal ein bisschen nach irgendwelchen Anleitungen und bereitete mich sonst auf die neue Zeit in Nürnberg vor. Die führte mich nämlich in die Welt der Anthroposophen. Wer nicht weiß, was das ist: die Anthroposophie ist eine Geisteswissenschaft, die von Rudolf Steiner begründet wurde und viele Lebensbereiche wie Pädagogik, Landwirtschaft, Kunst u.a. wesentlich beeinflusst hat. Die Waldorfschulen sind die bekanntesten Zweige davon.
Ich wollte Eurythmie studieren, eine Art Tanzkunst, die Musik und Sprache durch Bewegung sichtbar macht. Sie ist sehr durchgeistigt und ganz aus der Anthroposophie geboren. Eine recht komplizierte, aber wunderschöne Angelegenheit. Und so dachte ich, dass ich hier genug Geistigkeit hätte. Da bräuchte ich eigentlich nicht viel anderes. Aber wie das Leben so spielt, kommt eins zum andern und auf einmal tun sich Tore auf, die man vorher nicht sah. Der Herr, der den Kurs geleitet hatte, lud mich irgendwann ein, mit ihm auf eine Esoterikmesse zu kommen, um ihm bei seinem Messestand zu helfen. Da ich so etwas noch nie erlebt hatte, willigte ich gerne ein. Mit 21 Jahren ist man ja sowieso für die ganze Welt offen. Auf der Autofahrt hatte ich endlos viel Gelegenheit, um Fragen zu stellen. Auf der Messe hörte ich dann eine Kassette mit Musik, welche die Singgruppe des Nürnberger Sri- Chinmoy-Zentrums aufgenommen hatte. Die ging mir so ins Herz, auch wenn die Noten nicht immer stimmten… Diese Musik musste ich einfach haben und ich bekam sie geschenkt. Die Kassette habe ich immer noch und wenn ich sie höre, steigen all die schönen Erinnerungen wieder auf… All das spielte sich also im Jahr 1990 ab, ein Jahr nach der Wende in der DDR, die so vieles ins Rollen gebracht hat.
Als wir abends wieder nach Nürnberg zurückkehrten, war ich von allem schon so überflutet, dass nur noch ein kleiner Anstoß fehlte, um zu fühlen, dass ich dahin gehörte, wo der nette Herr schon war. Beim Abschied schenkte er mir das Meditationsbuch von Sri Chinmoy und sagte: “Du könntest Schülerin von Sri Chinmoy sein, bei deiner Ausstrahlung ...”
Ich ging in die Wohnung, setzte mich aufs Bett und weinte vor lauter Dankbarkeit und Glück. In diesem Moment wurde ich Schülerin von Sri Chinmoy. Da hat er mich schon in sein Boot einsteigen lassen.
Wie es dann weiterging? Ich fragte nach dem Meditationskurs und ging dann ins Sri-Chinmoy-Zentrum. Das einzige, was ich wusste, war, dass ich nichts Besonderes erwarten sollte. Das war auch gut so, denn ich erlebte nichts Besonderes. Aber ich freute mich ja so, dorthin zu gehen. Irgendwann gab ich dann mal mein Foto ab, aber ich wusste schon, dass es nichts anderes geben konnte, als dass mich Sri Chinmoy als Schülerin annahm.
Meine innere Freude war für mich der untrügliche Beweis, dass der Weg stimmte, meiner war. Es brauchte natürlich schon eine Weile, bis mir der persönliche Aspekt des Meisters, seine menschliche Gegenwart wichtig und vertraut wurde. Sri Chinmoy in New York zu erleben, war etwas Besonderes: Ehrfurcht gebietend in den ersten Jahren, dann immer vertrauter und inniger. Sri Chinmoy ist nicht nur Meister, Lehrer. Nein, er ist Freund. Möchte sagen, der beste Freund, da es keine wirkliche Trennung zwischen mir und ihm gibt. Er lebt als lebendige Gegenwart in meinem Herzen, ist die innere Stimme ... Ist das, was ich Kanal für das göttliche Bewusstsein nenne. Was jeder, der Gott liebt, auch so erleben würde. Nur habe ich einen Menschen gesehen und erfahren, der Gottes Bewusstsein verkörpert hat und der mir mit seinem Beispiel gezeigt hat, wie das ist, wie sich das manifestiert.
Ich bin so froh, dass ich in rund siebzehn Jahren immer wieder die Gelegenheit hatte, in der physischen Gegenwart eines echten Yogis weilen zu können. Wenn ich je die Erfahrung von absolutem Glück und absoluter Liebe erleben durfte, dann durch ihn. Ohne Worte, nur durch inneren Austausch, Anwesenheit, Blicke, Herzensöffnung und Meditation.
Heute, wo er nicht mehr physisch da ist, sind es besonders seine Lieder und seine Schriften, die mir dasselbe schenken. Sri Chinmoy hat uns damit solche Schätze hinterlassen, und ich wünsche mir, ihnen noch mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als ich es bis jetzt tue. Seine Werke führen sein Werk weiter.
Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit in einem Menschenleben, aber gleichzeitig sind sie nur eine kleine Welle im Lebensstrom, der ewig dahinfließt. Es ist tröstlich zu wissen, dass das, was ich in dieser kurzen Spanne nicht erreicht habe, irgendwann werde erreichen können. Es ist ja noch so viel zu tun, so viel zu erreichen. Gemessen daran, sind zwanzig Jahre nichts. Dennoch kann ich mit Dankbarkeit auf sehr viele erfüllende, bereichernde, vorwärts bringende Ereignisse und Erlebnisse zurückblicken kann und ich weiß, dass noch viele auf mich warten.
Was mich in allen Lebenslagen stärkt, ist der Glaube an die innere Führung der Seele, die immer "im Einklang" ist mit dem Höchsten Göttlichen, dem Meister in uns.
"Ich höre auf meine innere Stimme, deshalb ist mein Leben von grenzenlosem Glücklichsein erfüllt."
- Sri Chinmoy
Bhagavantee A. Paul