Da war nichts als vollkommene Liebe, von Dr. Prottunga Edmund Blab, Wien
Der spirituelle Weg beginnt schon lange bevor wir uns dessen bewusst sind! Wenn die Zeit reif ist, kommt der Meister. Doch bis es soweit ist, muss schon einiges geschehen. Als westlich und katholisch erzogener Erdenbürger schien meine Laufbahn vorprogrammiert. Schule, Firmung, Studium, Hochzeit, Arztkarriere, Ehrenabzeichen der medizinischen Akademie, Altersheim, letzte Ölung und Ende. Das hört sich nicht gerade einladend an. Die Karriere vielleicht schon, aber der Rest?
Aber da gab es auch noch die andere Seite in mir. Eine tiefe Sehnsucht nach Freiheit, Entfaltung und Erfüllung. Da gab es auch noch die Momente innerer Freude, die alle quälenden Fragen, Zukunftsängste und Zweifel mit einem Schlag verschwinden ließen. Als Jugendbetreuer in unserer katholischen Pfarrkirche hat mich natürlich die Frage interessiert, ob ich ein Einzelfall bin, oder ob alle anderen Jugendlichen ähnliche Erfahrungen machen. Siehe da, wie sich herausstellte bin ich kein Einzelfall. In einer Jugendstunde bat ich die Anwesenden eine bildliche Darstellung ihrer augenblicklichen Lebenssituation anzufertigen. Der Großteil der Jugendlichen hat sich selbst in einem Käfig oder in Ketten dargestellt, mit der Erwartung, dass ein Befreier von außen kommt. In dem folgenden Gespräch wollte ich dann wissen, ob sie auch schon besondere Erlebnisse der inneren Freude oder der Harmonie gehabt haben. Auch hier gab es niemanden, der nicht zumindest von einem Erlebnis berichten konnte. Gerade diese Erlebnisse waren es, die mein spirituelles Interesse geweckt haben.
Mein erster spiritueller Lehrer war ein katholischer Priester, den ich heute als modernen Mystiker bezeichnen würde. Er inspirierte mich und leitete mich zur Meditation an. Auf diese täglichen Meditationen blicke ich mit großer Dankbarkeit zurück. Sie begannen meinen Charakter und meine Lebenseinstellung zu formen. Vieles veränderte sich plötzlich in meiner Umgebung. Vor allem, was Vergebung bedeutet, durfte ich damals erfahren. Mein priesterlicher Freund wurde nach zwei Jahren in eine andere Pfarrei versetzt. Ich meditierte ohne seine Unterstützung mit steigender Intensität weiter. Dabei hatte ich viele schöne Erfahrungen, aber auch Erlebnisse, die weit jenseits meines bisherigen Erfahrungshorizont lagen. Diese Erlebnisse machten mir Angst. In Ermangelung einer spirituellen Führung brach ich nach einiger Zeit meine Meditationen abrupt ab.
Die nun folgenden Jahre waren eine berufliche und private Leidensgeschichte, mit der ich sie verschonen möchte. Ausgebrannt, überarbeitet, seelisch krank und voll von Selbstmitleid, so würde ich mich in dieser Zeit charakterisieren. Erst die Worte des Dalai Lama, der sagte, dass die schwierigsten Menschen unsere besten Lehrer sind, konnten mich mit dem Leben wieder soweit versöhnen, dass ich mein Selbstmitleid aufgab und die Mobbingtiraden meines damaligen Chefs besser ertrug. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits Oberarzt an einer kinderchirurgischen Abteilung in Wien. Ich hatte viele schwerkranke Kinder zu betreuen. Unter anderem die kranke Tochter eines lieben Freundes. Es war Ostersonntag und eines der wenigen Wochenenden, an denen ich dienstfrei hatte. Auf einer Bergtour erreichte mich der Anruf, dass seine Tochter soeben gestorben sei. Ich ließ mich betroffen auf die Almwiese niederfallen. Was ist das für ein sonderbares Leben? Dieses Mädchen wurde an einem Ostersonntag mit einer ganzen Reihe von Fehlbildungen zur Welt gebracht und in unserer Abteilung mehrmals operiert. Die Fehlbildungskorrekturen verliefen erfolgreich, doch jedes Mal, wenn ein Problem behoben war, trat ein neues auf. Zuletzt fand ich im Nierenultraschall einen bösartigen Nierentumor. Auch diese Operation überstand das Kind, das an diesem Ostersonntag an einer simplen Darminfektion verstarb. Eine sonderbare Geschichte. Welche Kräfte waren hier am Werk. Jetzt wollte ich es wissen, was sich hinter dieser Weltkulisse abspielt. Wie sehr ich mich auch anstrengte, das zu ergründen, es gelang mir nicht. Da war nur Leere. Absolut nichts. Nach einiger Zeit gab ich es auf. Das war der Moment in dem plötzlich ein kindliches Lachen in mir hochstieg. Ein unbeschwertes Lachen, zu dem ich seit Jahrzehnten nicht mehr fähig war. Zusammen mit dem Lachen kam mir die Erkenntnis: "Ich bin krank - ich bin an Seele und Körper krank - ich muss den Weg zurückgehen und so befreit leben wie ein Kind - Arzt heile dich selbst - doch wo anfangen?"
Da war auch plötzlich wieder die Erinnerung an die glücklichen Erfahrungen meiner Jugendjahre. Ich wusste: "Dahin muss ich zurück – koste es was es wolle – alles andere ist wertlos."
Ich begann mich mit spiritueller Literatur einzudecken, lud Freunde ein, von denen ich annahm, dass sie mir helfen können und versuchte es erneut mit Meditation. Es war nicht mehr wie früher. Die Meditation gestaltete sich mühsam und trocken. Die Freunde waren nicht so spirituell, wie ich geglaubt hatte. Von den Büchern erhielt ich eine gewisse Inspiration. Schwere Zweifel überfielen mich, ob ich noch einmal die Chance bekomme, ein glückliches Leben zu führen. Die Lektüre von Rudolf Steiners Buch: "Wie erlangt man Erkenntnis der höheren Welten", war für mich die Initialzündung. Hier beschreibt Rudolf Steiner einfache Konzentrations- und Meditationsübungen, die ich mit wachsender Begeisterung durchführte. In einem Kapitel spricht Steiner über die Notwendigkeit eines Meisters, um wirklichen Fortschritt zu machen. Also begann ich aktiv nach einem Meister zu suchen. Das ist gar nicht so leicht. Ich bin vielen "Meistern" begegnet, aber keiner entsprach meinen Vorstellungen. Bei meiner Suche erklärte mir ein sympathischer junger Mann: "Wenn du bereit bist, erscheint der Meister". "Der wird gerade auf mich gewartet haben", dachte ich mir und ging missmutig meines Weges.
Es war gerade wieder Karwoche und ich war mit Freunden im Kühtai (Tirol) Schi fahren. Mehrere Tage eingeschneit in einer Almhütte fand ich viel Zeit, in meinen geliebten Büchern zu schmökern. Diesmal war es die Philosophie der Freiheit von Rudolf Steiner. Als eine Freundin bemerkte, dass ich mich für spirituelle Dinge interessiere, überreichte sie mir einen Handzettel mit einer Einladung zu einem kostenlosen Yogakurs in Wien. Ich schenkte dieser Einladung keine Beachtung, verwendete sie als Lesezeichen. Wieder in Wien angekommen, fiel mir das "Lesezeichen" wieder in die Hand - ja klar, schon wieder jemand, der besser weiß, wie man rein glückliches Leben lebt. Danke, habe schon genug Enttäuschungen erfahren. Einem inneren Drang folgend, bin ich dann doch noch zu dem Kurs gefahren, nichts ahnend, dass das der bewusste Beginn des größten Abenteuers meines Lebens sein wird. Auf dem Weg in den Kurs sah ich einen unglaublich schönen Regenbogen. Es war nicht einer, nein, es waren vier übereinander von unglaublicher Leuchtkraft. Ob das wohl ein Zeichen von oben war?
Der Kurs selbst brachte keine besonderen spirituellen Überraschungen. Die vermittelten Inhalte kannte ich schon großteils. Aber in den einfachen Meditationen, die Teil des Kurses waren, erfuhr ich plötzlich wieder dieses Gefühl des unendlichen inneren Friedens. Alle Fragen, die ich ständig mit mir herumgeschleppt hatte, waren wie weggeblasen. Ich wusste sofort, in dieser Gemeinschaft möchte ich weiterhin meditieren. Nur mit dem in New York lebenden Meister konnte ich nichts anfangen. In meinem Eigendünkel erkannte ich damals nicht, dass ein verwirklichter Meister das größte Geschenk und die größte Gnade ist, die man im Leben je erhalten kann. Ich war so gefangen von meiner Vorstellung, wie ein Meister zu sein hat, dass ich gar nicht erkannte, dass Sri Chinmoy in jeder Hinsicht der ideale Meister für mich ist. Wie mir Sri Chinmoy später zeigte, dass das Verhalten eines Meisters absolut nicht an die Wünsche seiner Schüler gebunden ist, ist eine andere Geschichte. Doch das greift zu weit vor.
In meinen schwerwiegenden Zweifeln, ob ich denn wirklich einen Meister brauche, habe ich mich an einen den Kursleiter, Gunagriha, gewandt, der selbst Arzt war. Er antwortete mir damals auf meine Frage: "Der Kranke bedarf des Arztes". In dem Moment war ich mir sicher, dass ich hier richtig bin. Das waren genau die Worte, die wie ein Zauberstab meine Seele berührten. Was blieb mir also übrig. So habe ich einen Brief an Sri Chinmoy geschrieben und das obligatorische Foto mit der Bitte abgegeben, mich als Schüler zu akzeptieren und bei meiner spirituellen Suche zu unterstützen.
Es war interessant, dass zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben wirklich alles für einen spirituellen Weg vorbereitet war. Einige Jahre zuvor hatte ich schon meine Ernährung auf eine vegetarische Kost umgestellt, weil ich mich an der Massentierhaltung nicht mitschuldig machen wollte. Zunächst habe ich gelegentlich noch Biofleisch gegessen, weil es da keine echte Massentierhaltung gib, bis ich nach einiger Zeit auch danach kein Verlangen mehr hatte.
Eine langjährige Beziehung, die immer oberflächlicher geworden war, war ein halbes Jahr vor dem Meditationskurs schließlich zerbrochen. Ich war wirklich frei und bereit für einen zölibatären Weg. Alkohol und Rauchen waren sowieso nie ein Thema für mich. Einen Bart habe ich nie getragen und die weiße Kleidung konnte ich als Arzt auch noch akzeptieren.
Hätte es zu diesem Zeitpunkt irgendeiner Umstellung in meinem Leben bedurft, wäre ich vermutlich nie Schüler von Sri Chinmoy geworden.
Ich begann mich sehr intensiv mit der Schüler- Meisterbeziehung auseinandersetzten, während ich bange auf die Rückmeldung aus New York wartete. Es dauerte drei Monatebis die Antwort kam, dass mich der Meister als Schüler akzeptiert hat. Meine erste Reaktion war gar nicht freudig. "Mist", dachte ich mir, "jetzt muss ich wirklich an mir arbeiten. Jetzt ist es aus mit dem "lockeren" Leben. Der nächste Schock folgte bei der ersten Centermeditation im Kreis der anderen Schüler. Die Frauen im Sari, die Männer in weiß, alle fein säuberlich getrennt, wie es vor 50 Jahren in der katholischen Kirche üblich war. Was ist das für eine verklemmte spirituelle Gemeinschaft. Mein nächster Gedanke war Flucht. "Wer weiß, ob das nicht eine Sekte ist?" Doch die Meditation ließ mich wieder all das vergessen. Wieder war alle innere Unruhe, alle Fragen und Zweifel wie weggeblasen. Und die Schüler waren alle wirklich nett. So überwand ich meine inneren Zweifel und wurde letztlich Schüler eines verwirklichten Meisters, der weit weg von mir lebt. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Zweimal in der Woche meditieren, aber wo ist der Meister, mit dem man alle Fragen und Probleme erörtern kann?
Meine erste Begegnung mit meinem Meister fand nach einem Jahr intensiven Meditierens am Vienna International Airport statt. Sri Chinmoy kam für eine Konzerttournee nach Europa. Als sich die Flughafentür öffnete, stand da ein kleiner, untersetzter Mann im Trainingsanzug. Er hatte keine Haare am Kopf. Er meditierte kurz auf seine Schüler, unter denen auch ich mich befand. Plötzlich verspürte ich eine starke Freude im Herzen. Das also ist mein Meister. ... Ehrlich gesagt, sein Äußeres entsprach auch jetzt noch nicht meinen Vorstellungen von einem Meister. Genau das war auch mein Problem auf der Konzerttournee, bei der ich Ihn begleiten durfte. Ich war frustriert. Die anderen Schüler erzählten mir in schillernden Farben von ihren fantastischen Erlebnissen in der Gegenwart des Meisters oder während seiner Konzerte.
Ich selber konnte nichts empfinden, trotz aufrichtiger Bemühung. Auch die Musik war für mich sehr gewöhnungsbedürftig. Hätte ich nicht die Gemeinschaft mit den anderen Schülern so intensiv genossen, wäre das sicherlich das Aus für meinen spirituellen Weg mit Sri Chinmoy gewesen. Doch es kam ganz anders. In einer Abendveranstaltung nach einem Konzert, auf der sich der Meister ausschließlich seinen Schülern widmete, saß ich wieder völlig deplaziert in der Halle. Es war gerade Abendessenausgabe, und ein entsprechender Wirbel im Saal. Ich bemerkte, dass der Meister meditierte. Also setzte ich mich auch hin und meditierte auf Ihn. Ich fragte innerlich: "Bin ich dein Schüler, oder ist da ein Irrtum passiert?". Der Meister öffnete plötzlich seine Augen, lächelte mich an und das Bild von Ihm löste sich von seinem Sitz und verschmolz direkt mit meinem Herz. Solche Erlebnisse sind schwer zu beschreiben. Eines wusste ich jetzt: "Ich bin sein Schüler. Der Meister ist in mir." Das war es, was ich wissen wollte. Ich war glücklich.
Nach einem solchen Erlebnis der besonderen Art wünscht man sich natürlich weitere Erfahrungen. Wie das immer so ist, zerstört jede Erwartungshaltung die Chance auf neuerliche außergewöhnliche Erfahrungen. Meine Begehrlichkeit wurde somit auf eine harte Probe gestellt. Vier unerträgliche Tage musste ich warten, bis sich der Meister sich ein zweites Mal offenbarte. Innerlich hatte ich schon resigniert. Der Meister besuchte gerade die Produktionshalle der Tofufabrik Soyana - mit spirituellem Namen "Secrets of Perfection Flames". Diese Firma wird von einem Sri Chinmoy sehr nahe stehenden Schüler, den ich heute als Freund und außergewöhnlichen Lebensmittelpionier bezeichnen möchte, geleitet.
In den Produktionshallen der Tofufabrik durften wir einzeln an Sri Chinmoy vorbeigehen und gesegnete Nahrung (Prasad) nehmen. Ich war einer der Letzten, die am Meister vorbei gingen. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine Erwartung. Ich ging langsam, nahezu gleichgültig auf den Meister zu, sah Ihn an und dann passierte es. Ein solches Erlebnis lässt sich schwer in Worte fassen. Ich sah durch die Augen des Meisters in einen weiten lichtvollen Raum. Ich sah nicht hinein, besser ausgedrückt, ich fiel hinein, wurde Teil des Raums. Und was in mir heute noch die Tränen der Dankbarkeit hochsteigen lässt, dieser Raum war erfüllt von einer unendlichen Liebe. Da war nichts, als vollkommene Liebe, die alle meine bisherigen Erfahrungen von Liebe weit übertraf. Dieser kurze Moment, es waren wahrscheinlich nur wenige Sekunden, erfüllte mich ganz. Trunken von diesem wunderbaren Erlebnis verließ ich schweigend die Halle und setzte mich in einen stillen Winkel, um diese kostbaren Momente noch nachklingen zu lassen.
Was niemand anderer vermag, das vermag die Gnade des Meisters. Obwohl ich aus purer Neugierde zu ihm gekommen bin, hat er mich liebevoll und bedingungslos angenommen. Er hat niemals meine Einstellung oder die anderer Schüler kritisiert. Im Gegenteil. Er hat mir immer wieder außergewöhnliche Erfahrungen geschenkt, um mich zu motivieren. Langsam und beständig hat er in mir die Sehnsucht nach Gott geweckt. In Stille hat mich seine Liebe verwandelt und tut es noch heute auf dieselbe Art. Das ist das Wunder, das mein Leben zu einem faszinierenden Abenteuer ohne Ende werden ließ.
Dr. Edmund Blab, Wien